Wer die tiefste aller Wunden Hat in Geist und Sinn empfunden Bittrer Trennung Schmerz; Wer geliebt was er verlohren, Lassen muß was er erkohren, Das geliebte Herz,
Der versteht in Lust die Thränen Und der Liebe ewig Sehnen Eins in Zwei zu sein, Eins im Andern sich zu finden, Daß der Zweiheit Gränzen schwinden Und des Daseins Pein.
Wer so ganz in Herz und Sinnen Konnt‘ ein Wesen liebgewinnen O! den tröstet’s nicht Daß für Freuden, die verlohren, Neue werden neu gebohren: Jene sind’s doch nicht.
Das geliebte, süße Leben, Dieses Nehmen und dies Geben, Wort und Sinn und Blick, Dieses Suchen und dies Finden, Dieses Denken und Empfinden Giebt kein Gott zurück.
| aus: Von Günderrode, Karoline: Gesammelte Werke, Band 2. Berlin 1920–1922, S. 14-15.
Meine Schwester mein Kind! Denk dir wie lind Wär es dorthin zu entweichen! Liebend nur sehn · Liebend vergehn In Ländern die dir gleichen! Der Sonnen feucht Verhülltes geleucht Die mir so rätselhaft scheinen Wie selber du bist Wie dein Auge voll List Das glitzert mitten im weinen.
Dort wo alles friedlich lacht – Lust und Heiterkeit und Pracht.
Die Möbel geziert Durch die Jahre poliert Ständen in deinem Zimmer Und Blumen zart Von seltenster Art In Ambraduft und Flimmer. Die decken weit Die spiegel breit In Ostens Prunkgemache Sie redeten dir Geheimnisvoll hier Die süße Heimatsprache.
Dort wo alles friedlich lacht – Lust und Heiterkeit und Pracht.
Sieh im Kanal Der Schiffe zahl Mit schweifenden gelüsten! Sie kämen dir her Aufs kleinste Begehr Von noch so entlegenen Küsten. Der Sonne Glut Ersterbend ruht Auf Fluss und Stadt und die ganze Welt sich umspinnt Mit Gold und jazint Entschlummernd in tief-warmem Glanze.
Dort wo alles friedlich lacht – Lust und Heiterkeit und Pracht.
Charles Baudelaire, als einer der großen Erneuerer der europäischen Lyrik, ist bekannt für seine Portraits der sich verändernden Städtelandschaft seiner gleichfalls geliebten und gehassten Heimat Paris (Vorrangig in den „Tableaux parisiens“.) In seiner 1857 erschienen Sammlung „Les fleurs du mal“ verbindet er die Erfahrung der sich rasant wandelnden Lebensumstände der Industrialisierung mit dem Blick des Romantikers für die Schönheit im Gegenwärtigen.
Das Gedicht „Einladung zur Reise“ ist seiner Geliebten Marie Daubrun gewidmet. Er führt der Schauspielerin in dem Zeilen das Ideal eines fernen Landes frei von den Umwälzungen in der Großstadt vor. Geradezu idyllisch mutet es an, wenn er das „Entweichen“ in die sonnenreiche Landschaft „wo alles friedlich lacht“ aufruft. Aber Baudelaire nicht der Autor der „Fleurs du mal“, wenn er nicht auch hier die Scheinhaftigkeit mittragen würde (Passend zum Titel des Zyklus „Trübsinn und Vergeisterung“).
Henri Duparc (1848-1933) hat das Gedicht – auch hier wieder einer Dame, seiner späteren Ehefrau Ellen Mac Swiney, gewidmet – 1870 als Gesang mit Klavierbegleitung vertont.
| aus: Baudelaire, Charles: Die Blumen des Bösen. Berlin 1901. S. 72-74. Übers. v. George, Stefan.
Kaffee ist nicht erst seit dem 21. Jahrhundert ein Getränk von großer Anziehung. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als der Kaffee aus dem Adelshäusern seinen Siegeszug auch in die breite Bevölkerung startete und Kaffeehäuser Zentren der Kommunikation und des gesellschaftlichen Austausches wurden1, setzten sich Künstler mit dem Phänomen auseinander.
Auch dieses; doch seid nur gebeten Und lasset mir den Coffee stehn!
Ein der wohl Bekanntesten ist Johann Sebastian Bach (1685-1750). Seine Kaffee-Kantate mit dem Titel »Schweigt stille, plaudert nicht« (BWV 211)2 wurde 1734 in erstmals mit einem Text von Christian Friedrich Henrici (1700-1764, auch bekannt als Picander)3 aufgeführt. Der Dichter und Librettist aus Stolpen bei Dresden hat durch die Verbindung zu Bach in Leipzig eine sehr produktive Zeit verbracht. Neben Texten zu weltlichen und geistlichen Kantaten stammen auch Texte zur Matthäus-Passion (BWV 244) und der Markus-Passion (BWV 247) aus seiner Feder.
Ich möchte heute den Text der Kaffee-Kantate in der Druckversion von 1732 teilen4:
C. F. Henrici. Textdruck: Picander Erstdruck 1732, Seite 564 (Über den Caffe, Satz 1–8). Textdichter von Satz 9–10 unbekannt (Henrici?) Liesgen (S), [Erzähler] (T), Schlendrian (B)
1. REZITATIV (T)
(ERZÄHLER) Schweigt stille, plaudert nicht Und höret, was itzund geschicht: Da kömmt Herr Schlendrian Mit seiner Tochter Liesgen her, Er brummt ja wie ein Zeidelbär; Hört selber, was sie ihm getan!
2. ARIA (B)
SCHLENDRIAN Hat man nicht mit seinen Kindern Hunderttausend Hudelei! Was ich immer alle Tage Meiner Tochter Liesgen sage, Gehet ohne Frucht vorbei.
3. REZITATIV (S, B)
SCHLENDRIAN Du böses Kind, du loses Mädchen, Ach! wenn erlang ich meinen Zweck: Tu mir den Coffee weg!
LIESGEN Herr Vater, seid doch nicht so scharf! Wenn ich des Tages nicht dreimal Mein Schälchen Coffee trinken darf, So werd ich ja zu meiner Qual Wie ein verdorrtes Ziegenbrätchen.
4. ARIA (S)
LIESGEN Ei! wie schmeckt der Coffee süße, Lieblicher als tausend Küsse, Milder als Muskatenwein. Coffee, Coffee muß ich haben, Und wenn jemand mich will laben, Ach, so schenkt mir Coffee ein!
5. REZITATIV (S, B)
SCHLENDRIAN Wenn du mir nicht den Coffee lässt, So sollst du auf kein Hochzeitfest, Auch nicht spazierengehn.
LIESGEN Ach ja! Nur lasset mir den Coffee da!
SCHLENDRIAN Da hab ich nun den kleinen Affen! Ich will dir keinen Fischbeinrock nach itzger Weite schaffen.
LIESGEN Ich kann mich leicht darzu verstehn.
SCHLENDRIAN Du sollst nicht an das Fenster treten Und keinen sehn vorübergehn!
LIESGEN Auch dieses; doch seid nur gebeten Und lasset mir den Coffee stehn!
SCHLENDRIAN Du sollst auch nicht von meiner Hand Ein silbern oder goldnes Band Auf deine Haube kriegen!
LIESGEN Ja, ja! nur lasst mir mein Vergnügen!
SCHLENDRIAN Du loses Liesgen du, So gibst du mir denn alles zu?
6. ARIA (B)
SCHLENDRIAN Mädchen, die von harten Sinnen, Sind nicht leichte zu gewinnen. Doch trifft man den rechten Ort: O! so kömmt man glücklich fort.
7. REZITATIV (S, B)
SCHLENDRIAN Nun folge, was dein Vater spricht!
LIESGEN In allem, nur den Coffee nicht.
SCHLENDRIAN Wohlan! so musst du dich bequemen, Auch niemals einen Mann zu nehmen.
LIESGEN Ach ja! Herr Vater, einen Mann!
SCHLENDRIAN Ich schwöre, dass es nicht geschicht.
LIESGEN Bis ich den Coffee lassen kann? Nun! Coffee, bleib nur immer liegen! Herr Vater, hört, ich trinke keinen nicht.
SCHLENDRIAN So sollst du endlich einen kriegen!
8. ARIA (S)
LIESGEN Heute noch, Lieber Vater, tut es doch! Ach, ein Mann! Wahrlich, dieser steht mir an! Wenn es sich doch balde fügte, Dass ich endlich vor Coffee, Eh ich noch zu Bette geh, Einen wackern Liebsten kriegte!
9. REZITATIV (T)
(ERZÄHLER) Nun geht und sucht der alte Schlendrian, Wie er vor seine Tochter Liesgen Bald einen Mann verschaffen kann; Doch, Liesgen streuet heimlich aus: Kein Freier komm mir in das Haus, Er hab es mir denn selbst versprochen Und rück es auch der Ehestiftung ein, Dass mir erlaubet möge sein, Den Coffee, wenn ich will, zu kochen.
10. CHOR (Terzett) (S, T, B)
Die Katze lässt das Mausen nicht, Die Jungfern bleiben Coffeeschwestern. Die Mutter liebt den Coffeebrauch, Die Großmama trank solchen auch, Wer will nun auf die Töchter lästern!
Zum Mitsingen oder einfach nur genießen hier eine sehr gelungene Aufführung der Niederländischen Bach Society5 unter der Leitung von Shunske Sato und Marc Pantus:
Nach Hause stiefeln wir verstört und alt, Die grelle, gelbe Nacht hat abgeblüht. Wir sehn, wie über den Laternen, kalt Und dunkelblau, der Himmel droht und glüht.
Nun winden sich die langen Straßen, schwer Und fleckig, bald, im breiten Glanz der Tage. Die kräftige Aurore bringt ihn her, Mit dicken, rotgefrorenen Fingern, zage.
| aus: Niedermeyer, Max (Hg.): Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Dtv 1970.
Durch einen seltsamen Zufall hat sich folgendes kleine Blatt bis jetzt bei mir aufbewahrt, das ich schon in meiner frühen Jugend niederschrieb, als ich vor dem Wunsche, endlich einmal Italien, das gelobte Land der Kunst, zu sehen, keine Ruhe finden konnte.
Bei Tage und in der Nacht denkt meine Seele nur an die schönen, hellen Gegenden, die mir in allen Träumen erscheinen, und mich rufen. Wird mein Wunsch, meine Sehnsucht immer vergebens sein? So mancher reist hin und kommt zurück, und weiß dann nicht, wo er gewesen ist, und was er gesehen hat, denn keiner liebt so innig das Land mit seiner einheimischen Kunst.
Warum liegt es so fern von mir, daß es mein Fuß nicht in einigen Tagereisen erreichen kann? Daß ich dann vor den unsterblichen Werken der großen Künstler niederknie und ihnen alle meine Bewunderung und Liebe bekenne? Daß ihre Geister es hören, und mich als den getreusten Schüler bewillkommen? –
Wenn zufällig von meinen Freunden die Landkarte aufgeschlagen wird, muß ich sie immer mit Rührung betrachten; ich durchwandre mit meinem Geiste Städte, Flecken und Dörfer, – ach! und fühle nur zu bald, daß alles nur Einbildung sei.
Wünsch ich mir doch kein glänzendes Glück dieser Erde; aber soll es mir auch nicht einmal vergönnt sein, dir, o heilige Kunst, ganz zu leben?
Soll ich in mir selbst verschmachten
Und in Liebe ganz vergehn?
Wird das Schicksal mein nicht achten,
Dieses Sinnen, dieses Trachten
Stets mit Mißvergnügen sehn?
Bin ich denn so ganz verloren,
Den Verstoßnen zugeweiht?
O beglückt, wer auserkoren,
Für die Künste nur geboren,
Ihnen Herz und Leben weiht!
Ach, mein Glück liegt wohl noch ferne,
Kommt noch lange mir nicht nah!
Freilich zweifelt‘ ich so gerne, –
Doch noch oft drehn sich die Sterne, –
Endlich, endlich ist es da!
Dann ohne Säumen,
Nach langen Träumen,
Nach tiefer Ruh,
Durch Wies‘ und Wälder,
Durch blühnde Felder
Der Heimat zu!
Mir dann entgegen
Fliegen mit Segen
Genien, bekränzt,
Strahlenumglänzt!
Sie führen den Müden
Dem süßen Frieden,
Den Freuden, der Ruh,
Der Kunstheimat zu!
| aus: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Werke und Briefe. Hanser, 1984. S. 14ff.
Allherbstlich, wenn die braunen Blätter fallen, fällt auch dem Dichter dies und jenes ein. Er sieht, wie Wolken sich zusammenballen, er hört der Völker wilde Streiterein … Der deutsche Dichter kratzt sich an den Waden und fängt sich still den letzten Sommerfloh; und denkt: du könntst dich auch mal wieder baden und überhaupt und so …
Ich bin ein Preuße. Pfui auf die Verneinung! Ich lob die positive Position. Und ich besitz das Recht der freien Meinung in Wort und Bild und auch im Grammophon. Ich sage, was ich will, und sag es feste, am Stammtisch sag ichs und im Wahlbüro. Stolz sag ichs und mit einer weiten Geste: » … und überhaupt und so …«
Ich wohnte schon in vielen, vielen Zimmern, am Meer, in Bukarest, in Großenhain; und immer hört ich eine Jöhre wimmern, ein Schreihals muß in jeder Straße sein. Dann mach ich mir so allerhand Gedanken, zum Beispiel über unsern Reventlow – Die kleinen Kinder haut man auf den blanken und überhaupt und so …
| aus: Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke. Bd. 1 1907 -1918, Rowohlt, 1993. S. 565. – zuerst in: Die Weltbühne, 26.09.2018, Nr. 39, S. 297. (Als Theobald Tiger)
„Darum gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.“ (Matthäus 13,52)