Short V – Bachstraße

In der Bachstraße stehen wir

Und fangen den Wind mit unseren Träumen

Zwischen den Waggons der Bahn westwärts

Liegen und den Schotter ertragen

Und den Blick an die Bäume heften

Ob sie nun da sind oder Nicht

Über uns werden die Fenster verfunkelt.

Katzenkind

So selbstverständlich in der Landschaft stehen
konntest nur du, Katzenkind

Unbeachtet mit uns
Unter der Hecke der Alten sitzen
Die wir als Minna kannten

Hier war unser Schlupfwinkel
Aus Kartons und Decken
Immer auf der Spur der Alten
Von der wir nur ahnten, woher sie kam

Wie unseren Handrücken kannten wir den Hof
Ihr wildes Grün am Rande des Dorfes
Geduckt um den Jägerzaun streifend
Und sie immer im Blick
Wie sie mit rundem Rücken am Hoftor verharrte
Bis sie uns erspähte

Nur dich Katzenkind fand sie nie
Du konntest unter dem Fenster streunen
Und sie schaute über dich weg
Während wir mit ihr in der Küche saßen
Und Keiner etwas sagte

Sie stellte dir den Kakao ins Fenster
Und die Tasse verschwand ins Nichts

Bedrohung

wieder sitzen sie
auf dem Erker nebenan
in Formation zu Zwein
Gu-Ru
sitzen in sich ändernder Zahl
sitzen

eine Taube – was ist das schon
ein ganzes Dach voll
und du bist verstört

was wollen sie so nah
was wollen sie bei dir
du verstehst sie nicht
Gu-Ru
das ist ein Reden
du hörst es
Gu-Ru
verstehst es nicht

was planen sie
planen sie deinen Tod
was soll ihr Blick
Gu-Ru
dieser gleichgültige Blick

Gu-Ru
bleib in Deckung
Gu-Ru vor dem Fenster
Gu-Ru die Furcht
Gu-Ru in der Nacht
beobachten dich die roten Augen

Das Profilbild ist von www. brieftaubenfoto.de entnommen.

Imitation

Die ältere Frau legt den Kopf an die Fensterscheibe, schaut nach draußen. Sie hat ein Grinsen auf den Lippen. Ihre Enkelin: „Oma, was machst du da?“ „Siehst du doch?“ „Nein.“ „Ich chille.“ Die Enkelin mit einer Miene, wie sie oft nach dem Biss in eine Peperoni zu sehen ist: „Du was?“ „Ich chille. Wenn ihr das könnt, kann ich das auch. Guck.“ Das Gesicht der Enkelin löst sich, sie beginnt zu lachen: „Los, chillen wir zusammen.“ „Klar.“

Arbeitsteilung

Zurück in Weissenfels. Der Himmel glanzlos. Angestrengt starrt der Lokführer aus dem engen Fenster seiner Kabine über den Bahnsteig und wartet auf das Signal des Zugbegleiters. Geschäftig auch dieser. Er läuft strammen Schritts in Richtung des nächsten Triebwagens. Als eine Traube ehemaliger Fahrgäste an ihm vorbeizieht, hält er inne und schaut den Menschen nach. Nach einem kurzen Augenblick äußerster Angespanntheit nimmt seine Mundpartie einen „Nicht übel!“ Ausdruck an und er hebt den Daumen. Der Lokführer, nun seines Wartens enthoben, lockert ebenso seine Miene, ändert erwartungsfroh seine Blickrichtung. Nachdem die Brünette mit der engen Jeans aus seinem Gesichtsfeld verschwindet, hebt auch er die Hand – Zeigefinger und Daumen zu einem „O“ geformt. Zufrieden schließt er das Fenster und das Fahrzeug spurtet seinem Fahrplan nach.