Kurzgelesen – Dmitrij Kapitelman: »Eine Formalie in Kiew«

Wie schreibt man nach der Besetzung des Donbass und der Krim durch Russland 2014 und vor dem Angriffskrieg 2022 über die Ukraine und im Speziellen über Kiew?

Eine Möglichkeit bietet Serhij Zhadan (*1975), der in »Internat« einen jungen Lehrer ausschickt seinen Neffen aus der titelgebenden Bildungseinrichtung abzuholen. Dabei trotzt dieser den allgegenwärtigen Gefahren des Kriegsalltags in einem verrohten Land.

Eine ganz andere Option wählt Dmitrij Kapitelman (*1983) in »Eine Formalie in Kiew«. Doch was im ersten Moment so locker daher kommt, zeigt ein Land mit großen Fragen auf der Suche nach der eigenen Position zwischen Tradition und Neuaufbruch.

Der autobiographisch grundierte Roman schickt Dima nach Kiew um dort Dokumente für den Abschluss seiner Einbürgerung in Deutschland abzuholen. Wie sein Geburtsland steckt auch unser Protagonist plötzlich in einer Findungsphase, da er nicht weiß wie er sich in dieser ihm fremd gewordenen Ukraine bewegen soll. Und jetzt beginnt eine Achterbahnfahrt. Eben noch der König der Stadt, zerfällt alles mit einem Anruf. Dima wird auf eine Art und Weise herausgefordert, die viele Gewissheiten umwirft.

Dmitrij Kapitelman nimmt uns mit auf die spannende Reise einer Familie, die an Problemen wächst und doch immer in ihrer ganz eigenen Dynamik weiterfunktioniert. Die rasante Erzählung lebt von genauen Beobachtungen, Wortschöpfungen und einer feinen Ironie, die selten abgegriffen wirkt. Natürlich werden die Stereotypen gegeneinander ausgespielt, dank der ständigen Unsicherheit aber auch gekonnt aufgehoben, wenn man es gerade nicht erwartet.

Schaudort vergibt 10/10 Blickpunkte.

| Kapitelman, Dmitrij: Eine Formalie in Kiew. Dtv 2023. Roman, 176 Seiten.

Kurzgelesen – Daniela Danz: »Lange Fluchten«

Cons hatte einen Lebensentwurf. Alles war geplant. Frau, 2 Kinder, Hausbau – Alles ist da. Die Bundeswehr ist seine Berufung, bis er als Zeitsoldat bei einer Übung einen Aussetzer hat. Für einen Einsatz im Kosovo wird er nicht berücksichtigt und von nun an ändert sich alles.

Die Familie lebt auf der (ehemaligen) Baustelle in provisorischen Containern. Während seine Frau den Alltag der Familie bewältigt und die Söhne an ihm vorbei leben, geht Cons seiner Jagdleidenschaft nach. Kaum fähig einen konkreten Gedanken zu fassen lebt er in den Tag.

Daniela Danz nimmt den Leser mit auf eine Reise in das Innere eines Menschen, welches trostloser kaum sein kann. Zwischen Erinnerungen, alten Freundschaften und einem nicht mehr greifbaren Ideal scheitert Cons an sich selber.

Stilistisch holt die 1976 in Eisenach geborene Lyrikerin immer wieder das feine Besteck heraus. Die »Lange[n] Fluchten« sind ein kompaktes, rauschhaftes Werk, lassen den Leser etwas ratlos zurück und erzählen auf den wenigen Seiten so viel mehr über unsere Gegenwart als so manches Opus Magnum.

Schaudort vergibt 9/10 Blickpunkte.

| Danz, Daniela: Lange Fluchten. Wallstein 2016. Roman, 146 Seiten.

Durchgelesen – Abbas Khider »Der Erinnerungsfälscher«.

Das Leben plant oft anders als der Mensch. Gerade hat man alles in halbwegs geordnete Bahnen gelenkt und einen erfolgreichen Ansatz gefunden, schon holt die Vergangenheit zum Gegenschlag aus.

Said Al-Wahid erhält auf dem Rückweg von seiner ersten Lesung in Mainz die Meldung, dass seine Mutter im Irak im Sterben liege. Kurzentschlossen macht er sich auf den Weg in ein Land, dass er vor Jahren verlassen hat um in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Die Anreise als Rahmenhandlung nutzend, lässt Abbas Khider (*1973) seinen Protagonisten eine weitere Reise antreten. Für Said beginnt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Von nun an streben die beiden Stränge auf einen gemeinsamen Punkt zu. Umso schneller sich Said seinem Ziel Bagdad nähert, desto schneller erreicht seine Erinnerung die Gegenwart. Oder eben auch nicht. Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung übernimmt den Versuch der Selbstvergewisserung.

Das Thema der Flucht aus dem Heimatland wird bei Abbas Khider immer wieder neben die Probleme beim Ankommen im Zielland gestellt. Die Protagonisten wie Said sind überall entfremdet. Während im Zielland die Angst vor Amtlicher Post den Alltag bestimmt, waren es vor der Flucht allgegenwärtige Erfahrungen von Hunger, Krieg und Armut. Zur Schlüsselstelle des Romans wird der Augenblick der „Erfindung des Erinnerns“. Vom Zwang der Korrektheit des Historikers befreit, entdeckt Said die Möglichkeit seine Erfahrungen und Erlebnisse in einer neuen Art und Weise mitzuteilen. Das trifft Abbas Khiders Poetik in nuce – seine Romane sollen als autobiografisch verstanden werden, selbst dann, wenn sie gar nicht über eigene Erfahrungswerte berichten. Und so sind es weder die Schilderungen des täglichen Überlebenskampfes aus „Die Orangen des Präsidenten“ (2011), noch sind es die Probleme bei der Anpassung an die deutsche Gesellschaft und den deutschen Bürokratismus aus „Ohrfeige“ (2016), die über allem schweben, sondern immer die daraus resultierende Kritik an der „Zerstörung der Person“ durch die jeweiligen Zustände.

„Der Erinnerungsfälscher“ ist kein in sich geschlossener Roman. Die Erinnerung wird in Alltagsgeschichten und kurzen Episoden geschildert. Dabei stehen die jeweiligen Augenblicke für eine Stimmung oder eine Herausforderung im Leben von Said. Die Range reicht von traumatischen Erfahrungen wie der Hinrichtung des Vaters durch das Hussein Regime bis zu vordergründigem Alltagsrassismus in einer Berliner Kiezkneipe.

Stilistisch ist auch „Der Erinnerungsfälscher“ ein Roman ohne jegliches Pathos. Die Darstellung der traumatischen Szenen erfolgt bewusst unsentimental. Weniger Raum als in den vorherigen Büchern erhält der für Abbas Khider so typische bissige Humor. Dennoch muss niemand Angst haben hier ein Werk geringerer stilistischer Qualität vor sich zu haben. Einige Sätze wirken wie gestanzt, fast aphoristisch. An dieser Stelle nutzt Khider, dass Said auch als Literat die Beschäftigung mit seiner traumatischen Vergangenheit sucht.

„Der Erinnerungsfälscher“ ist sehr schmal, intensiv und ein typischer Khider.

Ja, die Themen wiederholen sich. Ja, der teils dokumentarische Stil wiederholt sich. Und ja: Genau das brauchen wir – die permanente Konfrontation mit einem gesamtgesellschaftlichen Problemfeld, welches wie kaum ein anderes von unreflektierten Vorurteilen dominiert wird.

DURCHGELESEN: Kathrine Kressmann Taylor – »ADRESSAT UNBEKANNT«

Eine Autorin, die heute fast vergessen ist – eine sehr wechselhafte Rezeptions- und Publikationsgeschichte und ein Text, der zusammengefasst auf weniger als 50 Seiten Platz findet. Wenn dann das Genre auch noch Briefnovelle heißt – was kann man von solch einem Werk erwarten?

Kurz gesagt: Alles! Was Kathrine Kressmann Taylor hier gelingt ist nicht weniger als eine der eindringlichsten Geschichten der Wandlung Deutschlands in den Monaten der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933. Ganz nebenbei wird eine stupende Vergeltung für Mittäterschaft ausgerollt, wie sie in dieser Art sehr selten in der Literatur ist.

Warum geht es eigentlich? Martin Schulse und Max Eisenstein betreiben gemeinsam eine gut gehende Kunstgalerie in San Fransisco. Allerdings hat sich Schulse dazu entschieden wieder zurück nach Deutschland zu ziehen um dort mit seiner Familie in der Nähe von München ein ruhiges und angenehmes Leben zu führen. Teils trauert ihm sein Kompagnon nach, da Schulse ein „Geschick im Umgang mit den alten jüdischen Matronen“ hat, andererseits beneidet er ihn für „die geistige Freiheit“ in Deutschland. Zusätzlich erwähnt Eisenstein noch die Erfolge seiner Schwester auf deutschen Bühnen, womit das Grundszenario bereits umrissen ist. Was von nun an in wenigen und immer kürzer werdenden Briefen passiert, kann man nur mit dem Attribut „schlagartig“ versehen. Freut sich Schulse in seinem ersten Antwortbrief (Dezember 1932) noch über die Ausstattung seines Hauses und die Ponys seiner Söhne, heißt es schon im nächsten Brief (März 1933) Hitler könnte „in einiger Hinsicht gut für Deutschland“ sein. Im dritten Brief (Juli 1933) ist die Wandlung Schulses bereits abgeschlossen und Max Eisenstein, ein guter Freund der Familie, ist plötzlich „in erster Linie Jude“, der „um [s]ein Volk jammert“. Die Schwester des ehemaligen Partners, eben noch „die Süße“, wird umgehend zu einer Gefahr für die Ambitionen Schulses, der seinen Aufstieg Nomenklatura der nationalsozialistischen Partei beginnt und bald über Alles andere stellt.

Die folgenden Briefe Eisensteins werden zusehends flehentlicher ob es Schicksals seiner Schwester in Deutschland, da er einen Brief an diese mit dem Hinweis „Adressat unbekannt“ zurückerhält. Dieser Ton jedoch soll wenig nützen und im Dezember erhält Eisenstein einen mit „Heil Hitler“ eröffneten Brief Schulses, der nicht weniger als „die unmißverständliche Pflicht“ des Deutschen und einen Bericht über die Ermordung seiner Schwester enthält.

Was nun passiert, ist das eigentliche Meisterstück der überschaubaren Novelle. Eisenstein schafft es mit wenigen Briefen die Rollen komplett umzukehren. Plötzlich ist es Schulse der „aus einer Verzweiflung heraus“ schreibt, die Eisenstein sich „nicht vorstellen“ könne. Wie ihm dies gelingt möge jeder selber lesen. Allerdings sei verraten, dass die Novelle ihren Titel nicht bloß aufgrund eines unbekannten Adressaten trägt.

Kathrine Kressmann Taylor (1903-1996) hat ein extrem überschaubares literarisches Werk vorgelegt. Mit „Bis zu jenem Tag“ aus dem Jahr 1942 nimmt sie das Thema des Nationalsozialismus noch einmal auf und berichtet über den Widerstand deutscher Christen am Beispiel von Leopold Bernhard. „Adressat unbekannt“ hatte es in den USA 1939 zu eine Auflage von 50.000 Exemplaren gebracht. Danach war es lange still um das Werk. Mit der erneuten Publikation in den USA bei Simon und Schuster 1995 gelang das Büchlein zu internationaler Bedeutung. Mit einer deutschen Auflage dauerte es bis 2001. Diese schaffte es dann allerdings sofort auf die Bestsellerlisten.

Wenn Elke Heidenreich im Nachwort befürwortet, dass „Adressat unbekannt“ zu Schullektüre werden sollte, liegt sie komplett richtig. Eindringlicher als hier lässt sich der Wandel Deutschlands von einer „wunderbaren politischen Freiheit“ hin zu einem Staat der ehemals enge Freunde dazu bringt über Leichen zu gehen kaum darstellen. Da ist kein Wort zu viel und kein Wort zu wenig. Es ist fast schon eine Tragödie, dass wir nicht mehr Bücher aus der Feder von Kressmann Taylor lesen dürfen.

| Kressmann Taylor, Kathrine: Adressat unbekannt. Atlantik bei Hofmann und Campe 2014. Briefnovelle, 76 Seiten. (Übers. von Dorothee Böhm.)

Durchgelesen: Frederic Schulz – »Eugen«

Was? Sie kennen Eugen nicht? Zugegeben – bis vor Kurzem ging es mir noch genauso. Aber so ist es eben – er war ein Weltstar, der keiner wurde.

Eugen Schnepple, der Früh-Unvollendete, hat in Heilbronn das Licht der Welt erblickt und wurde dabei zu lange kopfüber gehalten. Die Nachbarn wussten da konnte nichts Gutes bei rauskommen. Aber nur wenn man die Wette ohne Eugen macht.

Schon in jungen Jahren war klar, hier wächst ein besonderer Junge heran. Es zieht ihn auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Das Theater hat es ihm angetan. Da kann es kaum verwundern, dass er schon mit 10 die ersten gefeierten Vorstellungen auf dem Pausenhof gibt und kurze Zeit später zum Inventar des Theaters Heilbronn gehört. Mit Federboa und Knautschzylinder geschmückt tritt er den Lausejungen der Bleichstraße entgegen. Ein Eugen Schnepple weiß, wie man mit Feinden umzugehen hat!

Dann ist der große Tag da. Unser Eugen bekommt ein Rollenangebot und wieder ist ein Feind im Weg. Erst kümmert sich Eugen darum und dann geht es ab ins Berlin der Roaring Twenties. Mit Federboa und Knautschzylinder als Verrückter unter noch Verrückteren. Jetzt geht es erst richtig los. Schon im Zug macht er große Pläne mit einem Theaterschreiberling aus Augsburg. Kaum angekommen landet er in den Wirrungen von Politik und merkwürdigen Geheimgesellschaften. Aber auch am Theater und dieses Mal als richtig große Nummer.

Ach man muss ihn einfach lieben. Wenn uns Frederic Schulz hier einen Sonderling (Legenden besagen es könnte sich um seinen eigenen Urgroßonkel handeln.) präsentiert, dann einen besonders liebenswürdigen. »Eugen« ist die Autobiographie eines Früh-Unvollendeten in 13 Akten (Sic!). Mit viel Humor lässt er Eugen durch den Sündenpfuhl seiner Zeit treiben. In den besten Momenten funktioniert das in einer wunderbaren Situationskomik, in den Schwächeren kann es auch mal ein recht offensichtlicher Wortwitz sein.

Frederic Schulz, Mitglied der Erfurter „Aktionsgruppe Eskapismus“, stellt er uns mit »Eugen« eine Groteske über einen so naiven, wie zupackenden jungen Mann vor, der in seinem kurzen, intensiven Leben alles mitgenommen hat, was ihm seine Zeit bot. Selber Historiker, ließ es sich Schulz nicht nehmen die Großstadt der goldenen Zwanziger hier mit allen ihren Abgründen auf einen Charakter treffen zu lassen, der genauso fiebernd agiert.

Und so ist »Eugen« eine rauschhafte, lebensbejahende, aber auch tragische Debuterzählung, die Lust darauf macht, doch noch etwas mehr aus dieser Zeit zu lesen, die uns in der jetzigen Situation so komplett abhanden gekommen zu sein scheint. Perfekt funktionierender Eskapismus also.

| Frederic Schulz: Eugen. Proof Verlag, 2020. 158 Seiten.

Durchgelesen: Michal Hvorecky – »Tod auf der Donau«

Die Mitarbeiter eines Schiffes sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Jeder hat seine Aufgabe und trägt zum Funktionieren der Abläufe an Bord bei. Das ist zumindest die Theorie. Auf der »MS America« einem Donaukreuzfahrtschiff der Luxusklasse gilt für das Personal eine Grunddevise: In Namen der »American Danube Cruises« muss alles den Anschein der Exzellenz haben – mindestens!

Für die Passagiere, meist betuchte US-Amerikaner – weiße betuchte US-Amerikaner, eine abweichende Hautfarbe beeinträchtigt den Eindruck der Exzellenz – ist Martin Roy der erste Ansprechpartner. Als »Cruise Director« – vulgo Reiseleiter – ist sein oberstes Ziel die reibungslose Abwicklung der Reise für die anspruchsvolle Kundschaft. Wie viele seiner Kollegen hatte er eigentlich einen anderen Lebensentwurf. Als Magister der Italianistik reiht er sich ein in die Masse der Geisteswissenschaftler in einer ähnlichen Position. Eigentlich wollte er sich mit Übersetzungen aus dem Italienischen über Wasser halten, jetzt liest er den älteren Herrschaften alle Wünsche von den Lippen ab. Darunter finden sich Archetypen, die bei keiner Reisegruppe fehlen dürfen: Die Choleriker, denen Nichts gut genug ist. Die drallen Junggebliebenen, die gerne auch körperlich dem Reiseleiter, pardon Cruise Director, näher kommen wollen. Oder die Gehbehinderten, die durch europäische Katzenkopfpflastersteigungen getragen werden müssen.

Gleich zu Beginn der Reise bekommt Martin Besuch von Mona, einer Jugendliebe. Und obwohl das laut den Statuten des Unternehmens streng verboten ist, erlaubt der Kapitän (Auch er ein Stereotyp.) – Stichwort Gemeinschaft – das die junge Frau an Bord bleiben darf. Damit gerät die Reise, trotz aller Konzentration, für Martin zu einem Durcheinander – mindestens emotional. Da unser Reiseleiter ein Profi ist, erzählt er dennoch routiniert über die aktuellen Ziele der Kreuzfahrt und der Leser bekommt einen Überblick der Geschichte des Kulturraums rund um die Donau.

Hier liegt eine der großen Stärken des Romans. Immer wieder unterbrechen Episoden aus Martins Leben die Schilderungen des Schiffsalltags. Das fühlt sich nicht nur immer folgerichtig an, sondern sorgt wie die Vorträge Martins für ein flüssiges Lektüreerlebnis ohne Längen und bringt die benötigten Handlungsmotivationen des Protagonisten auf den Tisch. (Wir lernen warum Martin den großen europäischen Strom so liebt.) Stilistisch lebt »Tod auf der Donau« davon, dass der lockere Ton einer Vielzahl an Dialogen getragen wird, die sehr natürlich wirken. Selbst die aufgesetzte Freundlichkeit der Besatzung kommt überzeugend zur Geltung. Man darf sich glücklich schätzen, dass Michael Stavarič die Übersetzung übernommen hat. Wer Bücher beider Autoren kennt, erkennt die Verwandtschaft und findet im Buch eine Note Sarkasmus, die aus jeder Beobachtung hervorgeht, ohne zu aufdringlich zu sein.

Manch einer wird sich fragen, wo denn jetzt der Mord bleibt. Nun ja, der passiert – ist aber nie die Hauptsache, denn der Anschein der Exzellenz muss weiter glänzen.

Mit »Tod auf der Donau« hat Michal Hvorecky ein Stück Prosa vorgelegt, wie ich es von ihm nicht erwartet habe. Ganz anders als die dystopischen Szenarien von »City« oder »Troll« atmet der Roman soviel Gegenwärtigkeit, dass der Mikrokosmos der Donaukreuzfahrt nach den Gesetzmäßigkeiten des Pauschaltourismus selber wie eine Dystopie wirkt und dabei sind die Morde an Bord noch das kleinste Schrecknis.

Michal Hvorecky: Tod auf der Donau. Tropen, 2012. 272 Seiten.

Mal schaun – 2. Vj. 2020 -„Küss de hück nit, küss de morje.“

Tja ja. Ich und die Zuverlässigkeit meiner Beiträge. Ausbaufähig. Dennoch möchte ich euch heute mitteilen, was als Nächstes so ansteht auf »Schaudort«.

Der Blog soll etwas weiterentwickelt werden. Hierzu schmeiße ich Kategorien die »Work it« und »Krämpfer« über Bord und sortiere die Restlichen neu. Der Fokus soll weiterhin auf vier Schwerpunkten liegen:

  • Eigene Texte jeder Art: Kurzprosa, Lyrik oder Gesprächsnotate. Zu finden unter »Geschrieben«
  • Rezensionen von für mich mehr als nur ansprechenden Büchern. Hier werde ich neben »Durchgelesen« als klassischer Besprechung mit »Auserlesen« ein neues Format starten. Damit sollen endlich auch Bücher Erwähnung finden, die durch ein besonderes Format und eine besondere persönliche Wirkung auf mich aufweisen. Als ersten Titel hierfür habe ich mir »final image« von Mario Osterland vorgenommen.
  • In »Gesehen« wird es auch weiterhin Texte geben, die ich aus anderen Quellen entweder verlinke oder übernehme. Vorwiegend werden hier gemeinfreie Texte auftauchen. Aber auch literarische Veranstaltungen möchte ich hier teilen. Die nächste „Ausgabe“ wird etwas Lyrik aus Lateinamerika präsentieren.
  • Der Fototeil »Pix« wird fortgeführt. Kurz überlegte ich, ob es nicht cool sein würde einen Reiseblog zu führen. Dann stellte ich fest, dass man Reisen muss um darüber zu bloggen. Keine Option im Moment. Mit »Pix« werde ich weiterhin eigene Aufnahmen eines Ortes in den Mittelpunkt stellen und diese mit einem Begleittext über die jeweilige Destination versehen.

Ferner werde ich eine Kleinigkeit einführen, die mich selber zwingen soll regelmäßig auf den Blog zu schauen: Eine Lektüreliste mit aktuell gelesenen Titeln.

So – jetzt müssen die guten Pläne nur noch umgesetzt werden. Wünscht mir Glück. 😀

Durchgelesen: Marko Dinić – »Die guten Tage« & Marko Dinić zu Gast bei Blaubart & Ginster

Marko Dinić (*1988 / Wien) präsentiert in seinem Debütroman „Die guten Tage“ (erschienen im Zsolnay Verlag/Wien) eine abenteuerliche Fahrt von Wien nach Belgrad. Im „Gastarbeiter-Express“ fährt der Erzähler umgeben von Mittfünfzigern, „denen die Diaspora anzusehen war, die körperliche Arbeit und der Alkoholismus“, in die Heimat um der Beerdigung seiner Großmutter beizuwohnen. Sie war es, die ihn immer bestärkte Belgrad oder am besten gleich ganz Serbien zu verlassen. Und sie ist es auch, für die er die Reise antritt.

Die wenig abwechlungsreiche Fahrt durch öde Landschaften Ungarns wird durch die Reisegesellschaft einerseits untermalt, andererseits auch unerträglich. Dinić beschreibt hier meisterlich die Eigendynamik einer solchen Schicksalsgemeinschaft. Insbesondere der Sitznachbar unseres Erzählers ist eine sehr eigentümliche Gestalt. Er stellt sich als eine Art Chronist der Zu- und Umstände in seinem Heimatland Serbien vor, der „es sich zur Aufgabe macht, dieses verbrecherische Pack zu entlarven“. Angetrieben von der Auseinandersetzung mit diesem Zeitgenossen entsinnt sich der Erzähler in loser Reihen- und Zeitfolge an Episoden seiner Kindheit und Jugendzeit in Serbien, wobei der Jugoslawienkrieg und die nachfolgende Diaspora der Serben einen zentralen Stellenwert erhalten. Nicht ausgeklammert werden dabei Fragen der Schuldigkeit in diesem Konflikt und so wird die Vaterfigur des Erzählers zu einem weiteren Protagonisten des Buches – eine Art Konterpart zur motivierenden Großmutter.

Hinzu kommt die Stadt Belgrad selbst, die in regelmäßigen Abständen Schübe der Erneuerung und Veränderung erlebt. Nach seiner Ankunft in der zehn Jahre zuvor verlassenen Heimatstadt findet unser Erzähler Bekanntes und Neues nebeneinander und trotzdem scheint die Stadt ihren widersprüchlichen Charakter konserviert zu haben.

Marko Dinić führt in „Die guten Tage“ eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit vor, welche nicht widerstandslos an der Erzählerfigur vorbeigeht. Diese dreht sich immer schneller zwischen Gegenwart und Bildern aus der Vergangenheit um sich in einem furiosen Finale doch nicht ganz lossagen zu können.

In der aktuellen Ausgabe Ihres Literaturpodcasts „Blaubart&Ginster“ unterhalten sich die Moderatoren Mario Osterland und Ralf Schönfelder mit Marko Dinić über seinen Roman, die immer noch aktuelle Handkedebatte und Arno Schmidt.

In guter Nachbarschaft - Die unabhängige Lesereihe in Thüringen

Marko Dinić, der Gast unsere letzten Nachbarschaft in Jena, hat sich auch bei unseren Freunden von Blaubart & Ginster im Studio blicken lassen. In ihrer aktuellen Sendung sprechen die Moderatoren Ralf Schönfelder und Mario Osterland mit dem Wiener Autor unter anderem über sein aktuelles Buch Die guten Tage, über Arno Schmidt und den Literaturnobelpreis für Peter Handke.

Ursprünglichen Post anzeigen

Durchgelesen: Matthias Brandt – »Raumpatrouille«

Ein Schauspieler schreibt ein Buch. Mit Matthias Brandt (*1961) schreibt ein renommierter Schauspieler ein Buch und benennt es mit „Raumpatrouille“ nach einer deutschen Kultserie aus den 60ern. Und genau hier spielen auch die Geschichten des Bandes. Aus der Sicht eines Kindes erleben wir ein Stück bundesdeutscher Alltagsgeschichte, die durch den Erzählgegenstand – eine besondere Familie – immer auch politische Zeitgeschichte ist. Schon vorneweg lässt sich sagen, dass der Band keine literarische Sensation ist – aber, und das ist er mit jeder Seite, eine sehr unterhaltsame Lektüre mit einem sehr liebenswürdigen Protagonisten. Und so ist es dieser phantasievolle Junge, der uns mit den Eigenheiten des Aufwachsens in einer Kanzlerfamilie bekannt macht.

Die Erzählung wird von einem klaren Stil getragen. Kurze Sätze dominieren. In einem lockeren Plauderton trägt Brandt vor, was viele Andere in Ihrer Kindheit auch erlebt haben: Eine Radtour mit dem Vater, der Besuch bei dem netten älteren Pärchen nebenan oder einfach die Übernachtung bei einem Freund. Was aber wenn die Radtour mit Begleitschutz und Herbert Wehner stattfindet, die älteren Nachbarn der ehemalige Bundespräsident Lübke und seine Frau sind und die Übernachtung beim Freund vor allem ein Ausflug in eine vermeidlich normale Familie mit TV-Abend, Knabbereien und „Jimmi“ ist? Immer wieder bricht dabei die Diskrepanz zwischen „dem Mann im Fernseher“ und dem Vater zuhause in die Erzählungen. Der lange Flur durch den sich der Junge vom Rest der Familie getrennt fühlt ist manchmal Tor zur Freiheit, manchmal Grund für Ängste. In nahezu jeder Episode entwickelt das Kind eine Vision einer großen Zukunft. Mal als Zauberer, mal als Verwaltungsmitarbeiter, mal als Astronaut. Und hier setzen diese liebenswerten Moment wieder an, wenn der Junge seine gesamte Erfindungsgabe in seine Pläne legt, diese aber ständig durchkreuzt werden. Und genau hier darf sich Brandt beglückwünschen, wenn er die Erwartungen und Empfindungen des Kindes so lebendig werden lässt, dass sie der Leser mit durchlebt.

Der Vater übrigens wird nicht nur bei der Radtour sehr lebendig. Kurz vor Ende wird der Junge durch ihn überrascht – aber das solltet ihr selber erlesen.

Matthias Brandt hat mit seinem Debüt ein Stück autobiographisches Schreiben vorgelegt, wie es leichter und aufrichtiger kaum gestaltet werden kann. Dieser Schauspieler darf gerne weiter in die Tasten hauen.

Durchgelesen: Paul Auster – »Timbuktu«

Klar, dass Paul Auster (*1947) einer der großen US-Erzähler seiner Generation ist, lässt sich kaum als Geheimnis bezeichnen. Trotzdem bin ich eher spät auf den Auster-Zug gestiegen und mittlerweile gefällt es mir dort sehr gut. Ich stieg mit „Stadt aus Glas“ ein – dem ersten Teil der New York Trilogie von 1985. Was vordergründig wie ein Kriminalroman anmutet, kippt schnell in einen Versuchsaufbau. Die Handlung dient als Tableau um variantenreich das Themenfeld behauptete und tatsächliche Identität zu umkreisen. Mein nächster Auster wurde „Schlagschatten“ – der zweite Teil der Trilogie – was ich allerdings erst später herausfinden sollte. „Schlagschatten“ zeigt strukturell wie inhaltlich eine enge Verwandschaft zur „Stadt aus Glas“. Wieder dient eine Beschattung als Aufhänger für das Wälzen unterschiedlicher Identitäts- und Benennungsprobleme. Sprache ist bei Auster immer ein explizit hinterfragtes Instrument.

Aha, erwischt! Das ist also sein Ding. Da aber das Bedienen bestimmter Muster nicht unbedingt etwas Negatives sein muss – vielmehr den Wiedererkennungswert des Schreibers steigern kann – und die Lektüre der beiden Romane anregend wie kurzweilig war, sollte nun der Griff zu einem weiteren Buch meinen Verdacht verfestigen und Auster zu meinem Spezialisten für mehr oder weniger raffinierte Denkspiele stempeln.

Tja – das hat dann nicht so geklappt. Schnell wird klar, dass sich „Timbuktu“ von 1999 ganz anders anfühlt. Nach einem noch etwas unentschlossenen Beginn fokussiert sich Auster in diesem Buch auf die Perspektive des Hundes Mr. Bones um uns einen Ausschnitt Amerikas zu zeigen, wie er sich aus einer Position der Schwäche und Hilflosigkeit darstellt. Das Tier, anfänglich mit seinem langjährigen Herrchen Willy unterwegs, muss in schneller Folge eine Reihe von Schicksalsschlägen über sich ergeben lassen.

Ausgangspunkt ist eine Wanderung durch Baltimore, die William Gurevitch alias Willy G. Christmas mit seinem Hund unternimmt, um das neue Zuhause für diesen zu finden. Wobei Wanderung schon zu Viel ist, Gurevitch hat seine letzte Kraft zusammen genommen, denn sein Ende steht kurz bevor. Während Willy sein Leben verpfuschtes Leben als Poet in Flashbacks noch einmal durchlebt, erkennt Mr. Bones, das er von der Welt da draußen vor allem das weiß, was ihm sein Herrchen gelehrt hat. Dazu gehört auch die Vision von einem geweihten Ort Namens Timbuktu, einem Jenseits in dem das Herrchen auf seinen Begleiter warten wird. Auster lässt hier aber nicht nur einen treuen Vierbeiner aufmarschieren. Das Tier schwankt in seiner Wahrnehmung zwischen sympathischer Naivität und Momenten von nahezu erstaunlicher Reflexionstiefe. Dennoch bleibt der Grundkonflikt konstant bestehen: Die Hilflosigkeit des Tieres und seine Abhängigkeit von der Umwelt. Einziger Halt bleibt die Treue zu Willy und das Wissen um das gemeinsame Ziel Timbuktu.

In den Episoden des Wanderlebens unseres vierbeinigen Protagonisten führt Auster den Leser zu verschiedenartigen Abhängigkeiten mit denen der Hund nichts anfangen kann. Sie sind wider seiner Natur – er ist ein Streuner, wie Willy einer war. Am Ende bleibt auch „Timbuktu“ ein Versuch sich der Frage nach Identität und allem was dazu gehört zu nähern.