Wurf

Ich warf dem Raben Krumen hin

an der Haltestelle gegenüber säubert ein Punk seine Stiefel

der Hahnenkamm wirkt wie ein Besen

für den Reklamestrand der Tui darüber

die Strandschöne schaut dazu vergnügt

der Punk mustert seine Fingernägel

ist zufrieden mit den Rändern

hebt die Arme und tritt in die Welt

der Rabe sieht ihn und verneigt sich

Reise

Eingeschlafen Linie 4
Am Kreuzchen, Volkenrodaer Weg
große Welt kommt gleich
Airport
verpasst den Ausstieg
zum Trost ist das Bistro geöffnet
heute gibt es Burger vom Grill

Bote

uns liefen die heißeren Katzen hinterher
du auf der einen, ich auf der anderen Seite
uns beiden ein Licht gemein
unsere Schatten kannten sich nicht

die Spinnen brachten uns ihre Fäden
der Wind brachte Sand und Salz
wir brachten uns Worte und eine Richtung
sammelten Asphalt mit den Sohlen

ich gab einer Taube ein Gedicht für dich mit
danach blieben deine Schritte ungehört

ABGESCHAUT: Paul Verlaine (1844-1896) – »Sommer«

Der Sommer dehnt sich durch des Himmels weiße Glut,

ein Schattenkönig, der ein Urteil sieht vollstrecken.

Despotisch siehst du ihn die fahlen Arme recken,

der müde Landmann schläft und jede Arbeit ruht.

Die Lerche sang heute nicht, sie blieb bei ihrer Brut.

Nicht eine Wolke will ein wenig Blau verdecken,

und nicht ein Windhauch will ein leises Säuseln wecken.

Die Stille lastet schwer auf Wiese, Hain und Flut.

In dieser starren Ruh verstummen selbst die Grillen,

die Bäche fließen nur in schmalen, seichten Rillen,

ihr Kieselbett ist leer, und gelb das Ufermoos.

Im grünen Tümpel nur im Schatten jener Espen,

da schwirren glitzernd noch Libellen ruhelos,

und manchmal blitzen durch die Luft schwarzgelbe Wespen.


| aus: Zweig, Stefan (Hg.): Paul Verlaine. Gedichte. Eine Anthologie der besten Übertragungen. Berlin 1907. Übers. von Otto Hauser.

| Digitalisat unter: Projekt Gutenberg

Auf der Bank

im auge des erpels
siehst du die bank
siehst dich
im auge des erpels
er sitzt gelassen
denkt sich seinen teil
und du entdeckst dich
im auge des erpels
bist du schön
er scheint zufrieden
und du bist es auch

Notat – Bryan

Die Vier erklimmt den Hügel Richtung Flughafen. Durch die Bahn schallt lautes Kinderlachen.
Ein kleiner Junge wird von seiner Mama angepustet und quittiert dies ausgelassen.
Der Vater reagiert zunehmend genervt. „Bryan bitte! Bryan hör auf.“ Hilflos schaut er sich
in der Tram um. „Bryan aufhören!“.
Ein Mädel in Bryans Alter setzt eine fragende Miene auf und zupft an der Jacke ihrer Mutter.
„Bryan? Mama…Bryan?“. „So heißt der Junge“ antwortet die Gefragte. „Nein Mama. So heißt man
doch nicht.“ Die Mutter muss das Lachen unterdrücken. „Bryan gibt es immer bei Oma zu Mittag.“
Durch die Bahn schallt lautes Mutterlachen.

Zugvereist

sehr langsam rollt voran
der Zug mit mir
und meinen Gedanken
dem Wunsch einmal im Rathaus
allein in der Nacht
die Gänge zu zählen
von Amts wegen und statistisch
verliert sich mein Blick
an einem Baum
an dem wir gerade schon vorbeikamen

Pix – Streetart in Erfurt – Die Brücke, Frau Korte 2023

Ich habe mir mal wieder die Umgebung des Nordbahnhofs in Erfurt angeschaut.

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| Frau Korte.

| Wall of Fame Erfurt

| Streetart @ Feels like Erfurt

Kurzgelesen – Dmitrij Kapitelman: »Eine Formalie in Kiew«

Wie schreibt man nach der Besetzung des Donbass und der Krim durch Russland 2014 und vor dem Angriffskrieg 2022 über die Ukraine und im Speziellen über Kiew?

Eine Möglichkeit bietet Serhij Zhadan (*1975), der in »Internat« einen jungen Lehrer ausschickt seinen Neffen aus der titelgebenden Bildungseinrichtung abzuholen. Dabei trotzt dieser den allgegenwärtigen Gefahren des Kriegsalltags in einem verrohten Land.

Eine ganz andere Option wählt Dmitrij Kapitelman (*1983) in »Eine Formalie in Kiew«. Doch was im ersten Moment so locker daher kommt, zeigt ein Land mit großen Fragen auf der Suche nach der eigenen Position zwischen Tradition und Neuaufbruch.

Der autobiographisch grundierte Roman schickt Dima nach Kiew um dort Dokumente für den Abschluss seiner Einbürgerung in Deutschland abzuholen. Wie sein Geburtsland steckt auch unser Protagonist plötzlich in einer Findungsphase, da er nicht weiß wie er sich in dieser ihm fremd gewordenen Ukraine bewegen soll. Und jetzt beginnt eine Achterbahnfahrt. Eben noch der König der Stadt, zerfällt alles mit einem Anruf. Dima wird auf eine Art und Weise herausgefordert, die viele Gewissheiten umwirft.

Dmitrij Kapitelman nimmt uns mit auf die spannende Reise einer Familie, die an Problemen wächst und doch immer in ihrer ganz eigenen Dynamik weiterfunktioniert. Die rasante Erzählung lebt von genauen Beobachtungen, Wortschöpfungen und einer feinen Ironie, die selten abgegriffen wirkt. Natürlich werden die Stereotypen gegeneinander ausgespielt, dank der ständigen Unsicherheit aber auch gekonnt aufgehoben, wenn man es gerade nicht erwartet.

Schaudort vergibt 10/10 Blickpunkte.

| Kapitelman, Dmitrij: Eine Formalie in Kiew. Dtv 2023. Roman, 176 Seiten.

Short VIII – Sonntag

Das harte Leben

gemimt von der Tischplatte

wer am längeren Daumen sitzt

dem winkt kein Vergessen

vor lauter Welkerei

bleiben die Gedanken

auf der Strecke ins Gedicht

kamen sie vom Weg ab