Lehrreich

Ein kalter Tag im Februar. Erstmals in dieser Woche – es ist Samstag, fährt die Regionalbahn Richtung Halle plangemäß ein. „Ja, ja, fünf Zentimeter Schnee und alles bricht zusammen.“ Die späteren Fahrgäste, jetzt Einsteigenden, greifen zu Gepäck und sich von ihnen verabschiedenden Händen. Die ersten Beine haben die Stiegen erklommen, andere warten geduldig auf den Moment, in dem ihnen der Weg bereitet wird. Unplanmäßig nun: Die Türen des Schienenfahrzeuges schließen, also noch eine Vielzahl künftiger Fahrgäste, jetzt Stehender, mit den Füßen nur den Beton des Bahnsteiges berühren. Umgehend verbreitet sich Empörung, werden Schicksale beschworen. An einigen Stellen verbaler, an anderen Stellen gewalttätiger Kampf gegen die Verriegelungsautomatik. Man Glücklicher findet noch Eingang durch eine Tür, die von baldigen Mitreisenden, jetzt Mitleidenden verteidigt wird. „So etwas hat es noch nie gegeben. Anzeigen werde ich die.“

Zehn Minuten später. Das Fahrzeug hat bereits Vieselbach verlassen und die Stimmung in den Waggons ist angespannt. Zwischen Todesstrafe für den Lokführer und Anschlägen auf den Unternehmensvorstand werden diverse Optionen eines Rückschlages gegen den Konzern erörtert. Ein Jeder steht im Diskurs. Der Zugbegleiter, noch relativ unversehrt, möchte Karten kontrollieren, muss sich den Fragen stellen. Eine Antwort forderte einen neuen Höhepunkt des Zornes in der dampfenden Masse heraus: „Der Lokführer sah die Leute trödeln. Die wollte er etwas antreiben.“ „Und das wollte er durch geschlossene Türen erreichen?“ „Nicht alle waren zu.“ „Passen sie auf, sie…“ „Nun lassen sie doch den Mann, der kann auch nichts dafür. Stimmt doch, oder?“ „Genau, wie sie es sagen.“ „Und was machen die jetzt am Bahnsteig?“ „Auf den nächsten Zug warten, nehme ich an. Der kommt in zehn Minuten.“ „Das geht ja noch.“ „Aber ehrlich, sie müssen doch auch zugeben, der Lokführer hat da Scheiße gebaut.“ „Nein, finde ich nicht.“ „Passen sie auf, sie…“ „Es kann nicht sein, dass Verabschiedungen am Zug zwanzig Minuten dauern. Wir standen sieben Minuten am Bahnhof.“ Der Zugbegleiter kontrolliert Karten und wechselt in den nächsten Waggon. „Habt ihr das gesehen, diese Arroganz.“ „Mit uns kann man es ja machen, nie wieder mit mir, nie wieder.“ „Steinigen sollte man die.“ „Ach was.“