D.

Ich belausche dich beim Niesen und stelle mir deine Stimme vor, wie sie die altbekannten Worte sagt. Unter diesen riesigen braunen Augen. Manche würden sagen Rehaugen. Du belohnst mich mit einem zweiten Nieser. Deine Nase zieht sich kraus. Du kneifst die Augen zusammen. Dein ganzer Körper wird durchgeschüttelt. Ich muss lächeln.

Du rutschst in deinem Sitz ein wenig nach vorne, deine Beine gekreuzt über deinem Rucksack. Du bewegst dein Handy konzentriert Hin und Her, um deinen Racer zu steuern. Deine Zunge folgt dabei synchron. Gegenübersitzend staune ich über so viel Entschlossenheit und denke mir irgendwann muss doch dieses Level einmal vorbei sein. Wenn du gewinnst, bekomme ich dein Siegerlächeln. Wenn du verlierst, verfluchen wir die Welt, rufen Walhalla und schwören jedem Gegner Rache.

Ich träume davon, dass wir in die Mauser kommen. Deine und meine Federn überall. Ich sammele sie und ordne alle der Größe nach. Wenn es mir mal zu viel wird mit deinem Gedaddel, werde ich dich damit an den Füßen kitzeln. Süße Rache meinerseits.

Vom Regengeprassel gegen das Tramfenster nimmst du kaum Notiz. In der Spiegelung laufen dir Tropfen über das Gesicht. Rollen durch den Straßendreck, bilden ein eigenes Netz. Kurz schaust du auf, immer noch vom Spiel gefangen. Wir haben die nächste Station erreicht. Die Türen öffnen sich und wir, wie getrocknete Falter, werden leicht angehoben und wirbeln durcheinander. Die Luft greift uns unter die Flügel und wir taumeln der Freiheit entgegen. Die Türen schließen.

Weiter geht es die Landstraße entlang. Die Linie führt stadtauswärts. Wir ruckeln an und das Rutschen lässt ein klein wenig Haut an deiner Hüfte aufscheinen. Du schaust kurz auf, runzelst die Stirn und schüttelst den Kopf. Wenn ich nur wüsste, warum. Der Blick einer Dame nimmt uns gegenüber Platz. Etwas verschämt ziehe ich die Hand von deiner Hüfte zurück und das erste Mal kicherst du in dich hinein. Deine Gänsehaut lässt auch mich etwas zittern.

Wir schlängelten uns durch die eisigen Fluten. Glitzernd im Übermut. Du über mir. Wir durchmaßen die Stromschnellen und immer als Mutprobe schwammen wir dagegen an, ließen uns zurücktreiben. Die Sonne wärmte uns die Rückenflossen. Du zeigtest auf dem Eisvogel. Er stand in der Luft und beobachtete uns. Bei drei wichen wir aus und er stieß an uns vorbei. Hätten wir gekonnt, wir hätten uns die Bäuche gehalten vor Lachen. Der Eisvogel schaute uns missmutig nach.

Ich lese einige Werbeschilder und beginne über schlechte Wortspiele zu schimpfen. Auch damit gewinne ich deine Aufmerksamkeit nicht, nur der Damenblick verfinstert sich weiter. Nicht mehr viel und er erreicht das Schwarz deiner Tornadolocken. Durch die Wolkendecke bricht ein Sonnenstrahl.

Mitten im Pinselstrich hat man uns vergessen. Du an den Rahmen gelehnt und ich hier unten perspektivisch verkürzt angelegt als Schatten für dich. Der Versuch auszubrechen, gelingt nicht. Eine besonders dicke Farbschicht um unsere Füße hält uns da, wo vorher ein Pferdestall gezeichnet war. Wir gewöhnen uns und genießen das wenige an Landschaft, das wir haben. Du in deiner Position am Rand mit Caravaggiolicht. Ich der treue Begleiter. Der Effekt.

Auf der Höhe Hauptfriedhof tippelt ein Pärchen mit Rollator über die Schienen. Die Bahn wartet geduldig. Du hast genug von deinem Game und das Handy verschwindet in der Hosentasche. Dein Gähnen steckt mich an und jetzt sitzen wir beide mit weit aufgerissenem Schlund da. Ich lege den Kopf an die Scheibe.

Wie wir mit den anderen des Stammes den Geschichten der Alten lauschten. Den Geschichten der langen Messer, die kamen unsere Heimat zu nehmen. Den Geschichten der großen Füße, die unsere Leute niederwalzten. Gespannt ziehen wir die Luft ein. Die Schatten des Lagerfeuers tanzen über unsere Körper. Immer an der Stelle mit dem ersten Schnitts zucken wir zusammen und müssen uns gegenseitig halten. Schreckgeweitet Augen, Münder. Ohren die bei jedem Knacken einen Schnitt hören wollen. Heute, so sagen die Alten, sind der Himmel die Halme und die Heimat ist sicher. Schon seit eintausend Grashüpferjahren ward kein Messer gesehen.

Endlich biegen wir in Richtung Airport ab und sind fast da. Der Gewitterblick ist abgezogen. Uns kleben die Zungen am Gaumen und wir können es kaum erwarten endlich ein schnelles Helles zu versenken.

Standen stundenlang unterhalb des Trinkhalms. Durstig sahen wir in die Wolken. Warum mussten wir so winzig sein. Ich hob dich auf die Schultern. Zum Glück konntest du mit den Fingerspitzen das Ende des Halms erreichen und ein wenig nach unten biegen. Ein riesiger Tropfen löste sich von dort. Ich ließ dich herunter und mit strahlenden Augen warteten wir auf die Dusche. Das Platschen erscholl neben uns, nur meine Füße wurden durchnässt. Mein dummes Gesicht. Du lachst mich aus.

„Na auf, wir müssen raus!“, sagst du. „Warum musst du nur immer träumen?“ Erschrocken springe ich auf und folge dir. Du schüttelst mit dem Kopf.

Rückständig

Die Nacht verlässt den Kopf
Durch die Augen versenkt du sie
In den Tiefen der Tasse
Die mehrhäutigen Worte
Ziehen sich zurück
Sammeln in der Amygdala
Den nächsten Sturm
Dir wird kein Haar gekrümmt
Nur ganz sachte das Rückgrat gestaucht

Short V – Bachstraße

In der Bachstraße stehen wir

Und fangen den Wind mit unseren Träumen

Zwischen den Waggons der Bahn westwärts

Liegen und den Schotter ertragen

Und den Blick an die Bäume heften

Ob sie nun da sind oder Nicht

Über uns werden die Fenster verfunkelt.

Indianer

Die weihnachtliche Kulisse des Erfurter Angers wurde am heutigen Tag durch etwas Folklore bereichert. Vor Martin Luther spielte einmal mehr ein emsig tanzender Indianer auf seiner Panflöte gegen die Kälte an. Ein kleiner Junge stand mit seiner Mutter, die emsig das Taschensortiment eines hiesigen Lederwarenspezialisten begutachtete, in der Nähe und plante seine Zukunft folgendermaßen:
„Mama, wenn ich groß bin, dann will ich auch so ein Panflötenindianer werden.“ „Sag noch mal sowas – und du wirst nicht groß.“ Die Mutter fand keine Tasche nach ihrem Geschmack.