Abgeschaut: Lenau, Nikolaus (1802-1850) – »Unmut«

»Unmut« (1832 erschienen)

Die Hoffnung, eine arge Dirne,
Verbuhlte mir den Augenblick,
Bestahl mit frecher Lügenstirne
Mein junges Leben um sein Glück.

Nun ists vorüber; in den Tagen,
Als ihr Betrug ins Herz mir schnitt,
Hab ich das süße Kind erschlagen,
Und mit dem Leben bin ich quitt.

Nicht mehr zum Lustschloß umgelogen,
Scheint mir die Erde, was sie ist:
Ein schwankes Zelt, das wir bezogen –
Tod, habe Dank! – auf kurze Frist.

| aus: Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 1. Leipzig und Frankfurt 1970, S. 27.

Abgeschaut: Von Günderrode, Karoline (1780-1806) – »Die eine Klage«

»Die eine klage«

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt was er verlohren,
Lassen muß was er erkohren,
Das geliebte Herz,

Der versteht in Lust die Thränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
Eins im Andern sich zu finden,
Daß der Zweiheit Gränzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt‘ ein Wesen liebgewinnen
O! den tröstet’s nicht
Daß für Freuden, die verlohren,
Neue werden neu gebohren:
Jene sind’s doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.

| aus: Von Günderrode, Karoline: Gesammelte Werke, Band 2. Berlin 1920–1922, S. 14-15.