Abgeschaut: Friedrich Hebbel (1813-1863) – »Requiem«

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Todten!

Sieh, sie umschweben dich,

Schauernd, verlassen,

Und in den heiligen Gluten,

Die den Armen die Liebe schürt,

Athmen sie auf und erwarmen,

Und genießen zum letzten Mal

Ihr verglimmendes Leben.

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Todten!

Sieh, sie umschweben dich,

Schauernd, verlassen,

Und wenn du dich erkaltend

Ihnen verschließest, erstarren sie

Bis hinein in das Tiefste.

Dann ergreift sie der Sturm der Nacht,

Dem sie, zusammengekrampft in sich,

Trotzten im Schooße der Liebe,

Und er jagt sie mit Ungestüm

Durch die unendliche Wüste hin,

Wo nicht Leben mehr ist, nur Kampf

Losgelassener Kräfte

Um erneuertes Sein!

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Todten!


| aus: Hebbel, Friedrich: Sämtliche Werke. 1. Abteilung. Berlin 1911. S. 149-150.

| Digitalisat unter: Zeno


Dieses Requiem hat Max Reger (1873-1916) als sein letztes Chorwerk 1915 (Reqiuem op. 144b) für Alt und Bariton vertont.